Von der Zunahme sinnbefreiter Tätigkeiten in der digitalen Arbeitswelt
Die Frage, was man beruflich tut, ist eigentlich banal. Und doch dürfte sie manchen Arbeitnehmer in der heutigen Zeit in Verlegenheit bringen. Dem amerikanischen Anthropologen David Graeber zufolge sind in den USA rund ein Viertel aller amerikanischen Erwerbstätigen mit Überwachungsaufgaben beschäftigt. Sie überwachen zum Beispiel fremdes Eigentum. Oder Prozesse und Projekte. Oder auch die Belegschaft von Unternehmen. Oder sie überwachen Teile der Gesellschaft und verhindern unangemessenes Verhalten oder Straftaten. Nicht nur die Wirtschaftlichkeit solch rein administrativer Tätigkeiten ist zweifelhaft. Auch die Sinnhaftigkeit vieler neuer Berufe in unserer durchdigitalisierten Gesellschaft darf in Frage gestellt werden.
Weiß eigentlich jemand, womit sich ein Consultant, vulgo Berater, den ganzen Tag beschäftigt? Oder ein Chief Happiness Officer (CHO) – eine gänzlich neue Führungsaufgabe, die immer mehr Executives von Start-ups und Technikunternehmen im Silicon Valley im Titel führen. Oder was ist die Aufgabe eines Managers von Management-Prozessen? Es ist natürlich einfach, sich über diese hippen Berufsbezeichnungen zu amüsieren, die bewusst in englischer Sprache gehalten und damit unscharf definiert werden. Erst recht, wenn man sich glücklich schätzen darf, in Lohn und Brot zu stehen und nicht in der Schlange der Arbeitssuchenden, die willens sind, sich für jeden noch so dämlich klingenden Job zu verdingen. Es ist uns Heutigen unmöglich, sich der immer weiter um sich greifenden Seuche von hochtrabenden Berufsbezeichnungen zu entziehen, die auf viele Berufseinsteiger und Schul- bzw. Studienabsolventen attraktiv zu wirken scheinen. Im Zuge der Entgrenzung der Arbeitswelt durch die Liberalisierung der Märkte und der Aufweichung von Arbeitnehmerrechten ist es normal geworden, dass Menschen nach einem langen Studium oder einer gründlichen Ausbildung den Tag an einem Schreibtisch vor einem Monitor sitzen. Und sofern sie schön in der Spur bleiben und ihrem einmal eingeschlagenen Karrierepfad treu bleiben, werden sie wohl auch den Rest ihrer Lebensarbeitszeit von 40, 45 Jahren dort verbringen – obwohl sich viele zeit ihres Lebens fragen, welchen Sinn eigentlich ihre Arbeit hat. Es sind genau diese Menschen, die in typischen Small-Talk-Situation sehr schnell an ihre sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten geraten, wenn es darum geht, auf die einfache Frage „Und was machen Sie so beruflich?“ eine einfache Antwort zu finden.
Paul Douard, 27 Jahre, Dreitagebart und Karohemd, hat sich in seinem Berufsleben bereits umorientiert. Nach einem Jura- und Marketingstudium folgte eine Stelle in einer Kommunikationsagentur. Alles sah nach einem perfekten Job und glänzenden beruflichen Aussichten aus. Doch was ihn erwartete, war ein sogenannter Bullshit-Job, eine sinnbefreite Tätigkeit, die kaum in wenigen Sätzen zu beschreiben oder einem unbedarften Zuhörer zu erklären ist. „Als Student hatte ich in den Semesterferien immer wieder als Möbelpacker gejobbt“, erzählt er. „Ich habe diese Tätigkeit wirklich geliebt. Morgens trat man in eine Wohnung voller Möbel und abends war sie dann leer. Auch wenn ich nach der Arbeit ziemlich kaputt war, hatte das Ganze einen Sinn, wenn der Möbelwagen abfuhr und die Familie sich von uns verabschiedete.“
Selbst wenn Paul Douard diese Arbeit vielleicht zu rosig schildert, so hat er sie natürlich auch nie lang genug ertragen müssen, um ihrer überdrüssig zu werden. Die Frage von Sinn und Unsinn einer Tätigkeit hatte sich Douard jedoch immer wieder gestellt, während er seiner Tätigkeit in der Kommunikationsagentur nachging, in der sich absurde Aufgaben und zahllose tägliche Meetings einander abwechselten, ganz zu schweigen von den hunderten Mails am Tag, die er gewissenhaft zu beantworten versuchte. Arbeitstage, an denen das Mittagessen mit den Kollegen schon ein echter Höhepunkt war. „Ich habe mich unentwegt mit Dingen beschäftigt, deren Ende einfach nicht absehbar war. Ich hing irgendwie mitten in der Produktionskette, sah weder den Beginn einer Aufgabe noch deren Abschluss. Irgendwann habe ich schon frustriert reagiert, wenn mich einer meiner Freunde oder Bekannten fragte, was ich so mache. Ich habe mich dabei ertappt, dass ich mit den Schultern zuckte und sagte: Ich weiß es selbst nicht genau.“ Paul Douard hat nach anderthalb Jahren die Segel gestrichen. Danach ist er in den Journalismus gewechselt und weint den früheren Meetings mit den Kollegen keine Tränen nach, in denen es eh nur darum ging, herumzulärmen und mit unverständlichen Abkürzungen um sich zu schmeißen, die offenbar nur Eingeweihte verstanden.
Jean, der seinen Nachnamen nicht verraten möchte, hat eine renommierte Hochschule besucht und darf sich nun um das Management einer Transportfirma kümmern. „Wenn ich morgens früh in die Firma komme, sehe ich irgendwo im Halbdunkel schon die ersten Monitore leuchten. Und wenn ich abends wieder nach Hause gehe, flackert immer noch irgendwo ein Monitor. In einer Bäckerei oder Metzgerei wird wenigstens etwas hergestellt, und am Ende des Tages werden die Sachen zusammengeräumt und die Produktion eingestellt. Nicht so bei uns“, erklärt die 38-jährige Führungskraft. „Mein Tagewerk besteht darin, Zahlen in Exceltabellen zu tippen und Berechnungen anzustellen. Das mache ich von morgens bis abends und auch die ganze Arbeitswoche über. Irgendwann habe ich mich dabei ertappt, wie ich angefangen habe, die Kästchen in den Tabellen zu zählen, nur um mal irgendwas Albernes zu tun.“ Auch wenn er über genügend Selbstironie verfügt, so scheint Jean sich dennoch damit abgefunden zu haben, sein Leben an sich vorüberziehen zu lassen. Hat er vielleicht Angst vor Arbeitslosigkeit? Oder nicht den Mut, ein Mehr an Sinn im Leben gegen ein Weniger an Einkommen zu tauschen?
„Aufgaben, die sich dem Arbeitnehmer immer weniger erschließen, sind ein Grund für das Entstehen von sinnbefreiten Berufen“, konstatiert Beatrice Hibou, Forscherin am CNRS (Centre national de la recherche scientifique = Nationales Forschungszentrum) und spezialisiert auf politische Ökonomie. Sie ist der Ansicht, dass es in unserer Arbeitswelt zu einer zunehmenden Bürokratisierung komme. „Sogar wir Wissenschaftler verbringen immer mehr Zeit damit, Formulare auszufüllen, vordefinierte Arbeitsprozesse einzuhalten und E-Mails an einen Haufen Kollegen zu schicken, um Entscheidungen treffen zu können. Demzufolge bleibt immer weniger Zeit für die eigentliche Forschung.“ Die Logik der Wettbewerbsgesellschaft, die eine ständige Bewertung und Taxierung der eigenen Leistungen verlangt, geht einher mit dem Bedürfnis nach größtmöglicher Risikobeseitigung, die zu einer Explosion von Vorschriften und Normen geführt hat. Das führte wiederum zu einer Ausuferung von Managementaufgaben und des entsprechenden Vokabulars, das sich in alle Lebensbereiche ausbreitet. „Sogar im Privatleben spricht man davon, Dates mit Freunden oder Kollegen zu managen“, meint Beatrice Hibou. „Man benutzt die Begrifflichkeiten und Werkzeuge aus der Welt der Unternehmensführung, um private Dinge zu regeln. Zum Beispiel Doodle, ursprünglich eine Software zur Online-Terminplanung, die häufig in Firmen eingesetzt wird. Mittlerweile nutzen viele das Tool auch privat, um Verabredungen mit Freunden zu organisieren.“
2013 erschien der Artikel von David Graeber „Über das Phänomen Bullshit-Jobs“, in dem der Autor sogenannte sinnbefreite Tätigkeiten beschrieb. Der US-amerikanische Anthropologe der London School of Economics ist häufig Teilnehmer globalisierungskritischer Aufmärsche und wichtige Säule der Bewegung Occupy Wall Street. Er ist der Ansicht, dass der technologische Fortschritt weit davon entfernt sei, die Prophezeiungen von John Maynard Keynes Realität werden zu lassen, wonach in der Zukunft eine Arbeitswoche auf gerade einmal 15 Stunden reduziert würde. Stattdessen erleben wir eine Explosion und Vorherrschaft des Verwaltungssektors. „Gemäß der ökonomischen Theorie des Kapitalismus ist Geld eigentlich das Letzte, was der Markt und die Unternehmen bereitwillig an Arbeitnehmer zahlen, die im ökonomischen Sinne wenig oder gar nicht produktiv sind. Aber genau das geschieht mittlerweile. Die Mehrheit der Menschen arbeitet eigentlich nur 15 Stunden pro Woche wirklich effektiv – genauso, wie es Keynes vorhergesagt hatte. Und die restliche Zeit verbringen sie damit, ihr Unternehmen zu kritisieren, Motivationsseminare zu organisieren, ihr Facebook-Profil zu pflegen oder TV-Serien zu streamen.“
Die liberale britische Wochenzeitung The Economist hatte Graebers Artikel mit einer ebenso fundierten wie harschen Antwort kommentiert und daran erinnert, dass jedes Zeitalter seine typischen Bullshit-Jobs hatte, erst recht während der ersten Industriellen Revolution. Vor der Automatisierung von Arbeitsprozessen war der Tagesablauf eines Arbeiters am Fließband nichts als eintönig und ermüdend. Verwaltungstätigkeiten haben seitdem den Dreischichtenbetrieb an den Maschinen ersetzt, und es überrascht wenig, dass auch dort, in den Büros, die Fließbandarbeit früherer Zeiten auf eine neue Art und Weise wiedergekehrt ist: Eine erste Gruppe von Menschen verbringt ihren Arbeitstag damit, Aufgaben zu sortieren und zu planen, die nächsten befassen sich mit Dokumenten aus Papier oder in digitaler Form, die sie entweder selbst anlegen oder aber auswerten und weiter anreichern, während eine weitere Gruppe von Menschen anschließend klärt, wie sich die Vielzahl der Aufgaben in Teams oder in Einzelarbeiten umsetzen lässt. Die Entmaterialisierung und Digitalisierung der Arbeit löst bei vielen Menschen ein Gefühl von Leere aus. Erst recht bei den Menschen, die in einem Zeitalter groß wurden, in dem noch aus Eisen und Stahl Fahrzeuge und Maschinen gebaut wurden. Die Automatisierung administrativer Tätigkeiten kann Menschen mit Bullshit-Jobs vielleicht entlasten, mutmaßt The Economist. Aber es ist wenig wahrscheinlich, dass eine gänzlich neue Form von Arbeit entsteht, die so viel sinnreicher und erfüllender ist als die jetzige. Eher wird es so sein, dass die sinnentleerten administrativen Tätigkeiten ein Übergangsstadium sein werden zwischen den Bullshit-Jobs des Produktionssektors früherer Epochen und einer Zeit, in der es vielleicht überhaupt keine Arbeit mehr für Menschen geben wird …
Die Diskussion zu diesem Thema ist längst eröffnet. David Graeber hat in einer seiner Veröffentlichungen eingestanden, dass sein Konzept der Bullshit-Jobs zu unpräzise war. Trotz aller Polemik, die er mit seiner These ausgelöst hat, wird sein Begriff mehr und mehr in den Medien aufgegriffen. Sogar ein weiterer Neologismus ist entstanden, um die immer weiter um sich greifende Langeweile und Sinnlosigkeit innerhalb der Arbeitswelt in Worte zu fassen: der Bore-out – das Gefühl, wenn man vor lauter Langeweile zu sterben glaubt. Innerhalb der Generation von hochspezialisierten Fachleuten gibt es gemeinsame Wesensmerkmale: Alle haben sie jahrelange Ausbildungen, Studien und Weiterbildungen absolviert und gerieten erst zu einem Zeitpunkt in eine berufliche Krise, als sie in eine Führungsposition aufstiegen. Anne, eine Mittdreißigerin, beschreibt sehr eindringlich diese Situation: „Wir haben unser Studium überdurchschnittlich gut abgeschnitten und hatten geglaubt, dass die Welt nur auf uns warten würde. Dann stellten wir uns dem Arbeitsmarkt zur Verfügung, wurden sofort von den Big Players der Branche geködert – und jetzt sind wir nur noch ein winziges Rädchen in dem großen Getriebe – mit einem Namensschild am Pulli und einem Schreibtisch im Großraumbüro irgendwo in einem Glasturm. Irgendwie fühle ich mich um mein Leben betrogen.“ Doch anstatt in einer solchen Situation zu akzeptieren, dass diese Art Arbeit sie das ganze Berufsleben begleiten wird, suchen Menschen wie Anne nach einem sinnstiftenden Ausgleich in ihrem Leben. Vor drei Jahren hat sie schließlich ein Studium der Soziologie begonnen. Eine ganze Generation scheint geradezu verzweifelt auf der Suche nach einem Sinn im Leben zu sein. Es wundert nicht, dass diese Sinnsuche zum Teil die merkwürdigsten Blüten treibt: Reisen zu den exotischsten Orten dieser Erde zum Beispiel, ein Start-up oder eine eigene kleine Firma gründen, sich auf den Kauf und Konsum von Bioprodukten kaprizieren oder gar ausschließlich Fairtrade-gehandelte peruanischen Schuhe tragen …
Manche, wie Valérie Fayard, haben sich EMMAUS angeschlossen – einer mittlerweile internationalen Bewegung zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit und Armut. Als Stellvertreterin der amtierenden Generalsekretärin der Vereinigung in Frankreich hat sie vor fünfzehn Jahren ihren alten Beruf verlassen, um als Freiwillige bei EMMAUS anzuheuern, wo sie seitdem auf der Karriereleiter immer höher steigt. Seit einigen Jahren landen auf ihrem Schreibtisch vermehrt Bewerbungen von jungen Menschen mit exzellentem Lebenslauf, die sich in einem Punkt alle gleichen: der Suche nach einem Sinn in ihrem Berufsleben. „Ich habe noch nie so viele Anfragen erhalten wie jetzt“, bestätigt sie. „Unsere jetzige Controllerin hat exakt dasselbe Profil wie diese Bewerber – ihr alter Arbeitgeber war das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen KPMG. Irgendwann hatte sie die Nase voll von Begriffen wie Marge, Profit, Aktionär und sich bei uns beworben.“ In ihrem neuen Job verdiene sie gerade einmal die Hälfte, aber die Sinnhaftigkeit und das Glück, einen Beruf auszuüben, der in der Gesellschaft gewürdigt werde und den man vor allen Dingen in wenigen Worten beschreiben könne, sei mit Geld nicht aufzuwiegen.
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Drei Männer sitzen nebeneinander und zerkleinern Steine. Sie benutzen dasselbe Werkzeug, arbeiten zur selben Zeit im selben Rhythmus. Alle drei verrichten exakt dieselbe Tätigkeit. Der erste hat einen niedergeschlagenen Ausdruck in seinem Gesicht. Das Gesicht des zweiten wirkt konzentriert – er sieht weder zufrieden noch unzufrieden aus. Der dritte hingegen scheint geradezu glücklich zu sein. Ein weiterer Mann tritt hinzu und stellt jedem der dreien dieselbe Frage: Was tun Sie gerade? Der erste antwortet verbittert: Ich zerkleinere Steine, weil ich meine Strafe abarbeiten muss. Der zweite antwortet gelassen: Ich zerkleinere Steine, weil ich mit dem Lohn meine Familie ernähren will. Der dritte erwidert fröhlich: Ich zerkleinere Steine, weil sie zum Bau der neuen Kathedrale verwendet werden!
Übersetzung und Erweiterung des Artikels „Jobs d’enfer“ von Lorraine de Foucher, erschienen am 24.04.2016 in der Le Monde ©
Übersetzer: Marcus Schmitz ©