Florian Reske, Eremiten Presse © Marcus Schmitz

Aus Liebe zur Literatur: Erinnerungen an die Eremiten Presse

 

Es mag einem das Herz bluten, dass die größte Sorge eines alten, erst seit wenigen Jahren nicht mehr aktiven Verlages bibliophiler Bücher die ist, seine papiernen Kostbarkeiten irgendwie entsorgen zu müssen. Kein Antiquariat, kein Buchhändler, nicht einmal die Müllabfuhr will sich bequemen, bei der Entsorgung oder Verwertung des in 60 Jahren verlegten Bücherschatzes der Düsseldorfer Eremiten Presse Hand anzulegen. Zu teuer, zu aufwendig – für die einen. Zu alt, zu uninteressant – für die anderen. Und so wurden zwei gestandene Verleger am Ende zu Nachlassverwaltern ihrer in die Jahre gekommenen Bücher, deren einziger Makel es ist, zu anspruchsvoll für ein nicht mehr an Qualität interessiertes Massenpublikum zu sein.

 

Friedolin Reske und Jens Olsson waren Jahrzehnte lang ein Begriff in der Literaturszene. Die Herausgeber bibliophiler Bücher lenkten mit unermüdlichem Eifer die Geschicke der Eremiten Presse – eines 1949 von V. O. Stomps in Frankfurt gegründeten Verlages. Reske, seit 1966 dabei, und Olsson, der 1983 dazu stieß, sind keine Büchermacher von Haus aus. Friedolin Reske liebte von klein auf das Tanzen, hatte eine Ausbildung als Tänzer absolviert und im Oldenburger Staatstheater mitgewirkt, später dann sogar Architektur studiert und in renommierten Architekturbüros wie Schneider-Esleben gearbeitet. Jens Olsson war in der Werbung zu Hause und hatte als Grafik-Kreativdirektor einen gut dotierten Job in einer Hamburger Werbeagentur gehabt. Es war die Liebe zur Literatur, weshalb sie ein sicheres Einkommen gegen unsichere wirtschaftliche Verhältnisse eintauschten. Und die Leidenschaft, mit der eigenen Hände Arbeit Bücher in jedem einzelnen Detail gestalten und verlegen zu können.

 

Bücher verlegen ist wie Regie führen

Friedolin Reske hat von Anfang an das Verlegen von Büchern als eine Aufgabe aufgefasst, wie sie zum Beispiel einem Regisseur einer Theater- oder Ballett-Aufführung zu eigen ist: „Als Verleger ist man der „Kopf“ eines Unternehmens, wenn es darum geht, Buchprojekte gestalterisch, drucktechnisch und in Sachen Vermarktung in die Tat umzusetzen“, ist seine Überzeugung. Ein Regisseur verwirklicht eine Aufführung zusammen mit allen Beteiligten – den Bühnenarbeitern, den Darstellern, den Musikern – und muss das Projekt auch führen. Genauso ist es beim Büchermachen, bei dem ein Verleger im Zusammenspiel mit dem Autor, dem Papierlieferanten, dem Gestalter, dem Setzer, dem Buchdrucker, dem Buchbinder und dem Buchhändler dieses Projekt von der Entstehung über den Druck bis zum Leser führt. Kenntnisse im Projektmanagement und Führungserfahrung hatte Reske schon als Architekt erworben, hinzu kamen sprachliches Feingefühl und weit reichende literarische Kenntnisse, welche die unabdingbare Grundvoraussetzung seines neuen Berufes bildeten. Von V. O. Stomps, dem Verlagsgründer, lernten Friedolin Reske und Dieter Hülsmann, sein damaliger Partner und ebenfalls Teilhaber an der Eremiten Presse, so ziemlich alles, was Verleger wissen müssen, die nicht gezwungenermaßen von externen Dienstleistern wie Setzern oder Buchdruckern abhängig sein wollten. Neben der Tatsache, dass beide von der Pike auf den Umgang mit Lettern, mit Druckmaschinen lernten und unterschiedlichste Typografien und Papiersorten zu unterscheiden und einzusetzen verstanden, bedeuteten diese Tätigkeiten auch eine enorme Einsparung von Kosten. Man darf nicht vergessen: Die Auflagen der Bücher der Eremiten Presse lagen selten über 1.000 Stück. Der Großteil der Autoren, darunter so renommierte wie Gabriele Wohmann, Ernst Jandl, Martin Walser oder Max von der Grün, hatte eine Auflage von einigen Hundert, oftmals handsignierten Exemplaren. Reich wurde damit weder Autor noch Verlag. Aber die Zufriedenheit, manchmal sogar das Glück, ein Buch geschaffen zu haben, bei dem Inhalt und Form in Perfektion aufeinander abgestimmt waren, überwog rein materiellen Interessen.

 

Logo Eremiten Presse © Eremiten Presse

Literatur ist Arbeit ist Leben

Als Verleger zu arbeiten, zumal für einen bibliophilen Kleinverlag, bedeutet, mit ganzem Herzen bei der Sache zu sein. Ein Buch ist nicht nur ein Produkt, das es zu vermarkten und verkaufen gilt. Es ist auch ein künstlerisches Werk. Alles beginnt mit der schöpferischen Leistung des Autors, die den Ausgangspunkt für die Idee eines Buchprojektes bildet. Als Verleger, der die Stapel zum Teil unaufgefordert eingesandter Manuskripte auf seinem Schreibtisch selten schwinden sieht, beschränkt man sich oftmals auf die Lektüre der ersten Seite(n), um ein Gespür zu bekommen, ob der Text und sein Autor Qualität besitzen. Sogar bei von Freunden empfohlenen Autoren wird von dieser Arbeitsweise nicht abgewichen – müssen doch die Texte zum Verlag passen und die Verleger Gefallen an der Umsetzung eines Buches finden. Reske bringt es auf den Punkt: „Ein Buch darf man nicht auf einen marktschreierischen Umschlag reduzieren, sondern es muss von innen nach außen entwickelt werden. Das fängt mit der Schrift an, der Papiersorte und setzt sich fort über die Falz, die Bindung, den Umschlag.“ Haptik und Optik sind die beiden wichtigsten – äußerlichen – Kriterien, die gute Bücher von schlechten unterscheiden. Wenn man als Verleger einen Text für gut befunden hatte, entstand fast automatisch eine erste Vorstellung im Kopf, wie das fertige Buch am Ende aussehen könnte. Passt eine Grotesk-Type zum Werk oder ist vielleicht eine Antiqua geeigneter? Vielleicht darf es sogar eine wundervolle Fraktur sein – lange Zeit in Deutschland verpönt, weil sie zu Unrecht als hoffnungslos altmodisch und mit dem Dritten Reich assoziiert wurde. Bevor aus einem Textmanuskript ein Buch wurde, verging mitunter viel Zeit, die in die Konzeption und die rein formale Gestaltung zu investieren war. Reske greift wahllos aus einem Stoß Rezensionsexemplare Beispiele für schlechte Gestaltung heraus: „Heute scheinen in Jahrhunderten bewährte Buchdruck-Konventionen kaum noch eine Rolle zu spielen“, bedauert er. Wie die simple Regel, einen ausreichend breiten Rand um den Satzspiegel einzuhalten, damit die Daumen beim Halten des Buches nicht die Buchstaben verdecken. Oder viel zu kleine, serifenlose Schriften, die sich als Bleiwüste durch ein Buch ziehen und das Auge des Lesers strapazieren. Viel Zeit, viel Kreativität fließt in ein bibliophiles Werk, bevor es Wert ist, in der Eremiten Presse zu erscheinen. Arbeitszeit, die niemand bezahlt. Und Arbeitszeiten, die jedem normalen Berufstätigen vermutlich ein Graus sind, der gegen Abend in Richtung seines wohl verdienten Feierabends heimfahren möchte. Normale Arbeitszeiten gab es nie. Die notwendigen Arbeiten wurden gemacht, wenn sie anfielen: abends die Lettern gesetzt, am Wochenende Manuskripte Korrektur gelesen. Blieb überhaupt Zeit für Ruhepausen? „Es gab immer Gelegenheiten, sich zu erholen“, beteuert Reske. „Zweimal im Jahr ging es in unser Ferienhäuschen nach Südfrankreich. Außerdem gab es immer wieder Möglichkeiten, über Lesereisen und Buchausstellungen – gefördert vom Goethe Institut – ins Ausland zu reisen. Nach Israel, zum Beispiel. Oder einmal in die USA. Doch solche Auszeiten waren hoch verdient, wenn zu anderen Zeit wie vor Buchmessen eigentlich Tag und Nacht gearbeitet werden musste.

 

Was bleibet aber, stiften die Dichter

Nach ziemlich genau 60 Jahren, 2010, stellte die Eremiten Presse ihren Betrieb ein. „Wir haben freiwillig und mit Lust begonnen, Bücher zu gestalten und zu verlegen, nun erlauben wir uns – ebenso freiwillig – damit aufzuhören“, teilten die beiden Verleger damals der Presse mit. Vier Jahre sind seitdem ins Land gegangen – und noch immer ist einiges zu tun für die mittlerweile 70- und 78-jährigen Büchermacher. Der komplette Handschriften-Nachlass aus Manuskripten und Korrespondenzen wurde an das Düsseldorfer Heinrich-Heine-Institut veräußert. Händeringend suchen Reske und Olsson nun nach einem Abnehmer für die noch immer reichlich vorhandenen bibliophilen Bücher, die nicht verkauft werden konnten. „Für Buchhändler sind unsere Bücher nicht modern, für Antiquare nicht lukrativ, und für die Müllabfuhr ist der Abtransport zu aufwendig, weil zunächst Zentnerweise Bücher vor das Haus geschafft werden müssten. Kein Müllwerker will sich die Mühe machen, uns diese schwere Arbeit abzunehmen“, klagt Reske. Gibt es denn noch Kontakte zu früheren Autoren oder Verlegern, gar Lesern? Reske lächelt melancholisch: „Unsere ehemalige Adressdatei ist von anfänglich 10.000 Kontakten auf zuletzt 3.000 geschrumpft. Und es werden immer weniger. Immer mehr Weggefährten sterben, lange Freundschaften zu Autoren nehmen so ein jähes Ende. Eine ganze Leserschaft verschwindet auf diese Weise. Die Eremiten Presse verliert damit ihre wichtigste Existenzberechtigung.“ Und nun, was kommt noch? „Die Eremiten Presse wird abgewickelt. Was verkauft werden kann, wird verkauft, den übrigen Rest müssen wir verschenken oder vermachen“, so Reske. Die ehemaligen Verlagsräumlichkeiten sollen einer altersgerechten Wohnung weichen, wo er und sein Partner Jens Olsson ihre letzten Tage verbringen wollen. Ab und an trudelt eine Anfrage wegen Nachdruckrechten ins Haus. Oder die verirrte Postkarte eines Lesers landet mal im Briefkasten, der das aktuelle Verlagsprogramm anfordert. Was bleibet aber, sind die vielen alten Bücher und so viel mehr Erinnerungen an einen Verlag, wie es ihn vielleicht kein zweites Mal mehr gibt.

 

Text und Fotos: Marcus Schmitz ©

 

Den Originalartikel, erschienen im KulturNetz, finden Sie hier.