Ziel vieler Orient-Reisenden: Süleimaniye-Moschee in Istanbul. © Marcus Schmitz

Heines schöner Islam – das europäische Bild vom Orient

Heine stand nicht allein da mit seiner im doppelten Sinne romantischen Vorstellung von einem „schönen Islam“: einerseits im Sinne der Romantik als kulturgeschichtliche Epoche, dass jede andere, fremde Gesellschaftsform besser erschien als die herrschenden, biedermeierlich-reaktionären Zustände in Deutschland. Romantisch aber auch in einem verklärenden und naiven Sinne, als Heines liberal-revolutionäre Gesinnung nach gesellschaftlichen Alternativen und Vorbildern suchte, die er in der deutschen Geschichte oder im Morgenland zu finden glaubte. Bei den Spätromantikern, wie Heine einer wahr, war viel vom geistigen, kreativen Aufbruchsgeist der Frühzeit verloren gegangen. Diejenigen, die ihr Heil in der Flucht gesucht hatten – wie die Nazarener, deutsche Maler, die nach Rom gezogen waren, wie Byron, Shelley oder ein Lenau, die immer unterwegs, immer auf der Flucht wie vor sich selbst schienen – waren entweder abgeklärt und saturiert in die Heimat zurückgekehrt oder im Ausland, fern der Heimat, zu Grunde gegangen.

 

Romantik ist durchaus als eine kunstgeschichtliche Form des Eskapismus zu verstehen, die sich in eine vermeintlich bessere Vergangenheit flüchtete oder die das Paradies auf Erden in exotischen Gefilden zu finden vermeinte. Nach einer rund ein Jahrhundert währenden Epoche der Aufklärung, die im wesentlichen das Ziel hatte, dem Menschen mit Hilfe der Vernunft zum „Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ zu verhelfen; nach einer aus ihren bescheidenen, unmerklichen Anfängen entfesselten Industrialisierung, die mehr und mehr als „Revolution“ ins Bewusstsein der damaligen Menschen trat, griff immer mehr ein Gefühl von Ernüchterung, Lebensüberdruss und „Désenchantement de la Vie“ – der Enttäuschung am Leben – um sich, das sich produktiv in den Künsten niederschlug. Der Byronismus wurde Kennzeichen dieser Epoche und ist geradezu Synonym für eine Jugend (im weitesten Sinne), die sich vom Glauben an Verstand und Ratio, von Aufklärung und dem damit verbundenen Zukunftsoptimismus ab- und einem mystischen, verklärenden und utopischen Wunschbild zuwendet. Das, was der Begriff „Romantik“ in seinem ganzen Facettenreichtum beinhaltet, wurde zur Ideologie eines neuen, im Werden begriffenen Bürgertums, das seinen Glauben an absolute Wahrheiten, an politischen Fortschritt und eine Beförderung der Humanität im Herderschen Sinne verloren hatte. Diesen verlorenen Glauben, dieses Gefühl von Heimatlosigkeit und auch der persönlichen Einflusslosigkeit auf die herrschenden Zustände suchten viele Literaten, Künstler und Denker durch Flucht zu kompensieren: einerseits durch eine rein geistige, ideele Flucht in die Philosophie oder in traumhaft-traumatische Produkte menschlicher Phantasie. Andererseits durch reelle Flucht ins Ausland, in den Süden nach Rom, wie es die Nazarener taten, oder nach Griechenland, wohin es Byron zog. Nicht allein romantisches Fernweh, sondern auch die politischen Verhältnisse trieben viele jenseits der geistigen und politischen Grenzen, wo der Traum von einer besseren Welt gelebt und in glühenden Worten und Farben beschrieben wurde.

 

[Fragment] © 2005