Elisabeth Louise Vigée Le Brun, Selbstbildnis © Wikipedia

Die große Dame der Porträtmalerei

 

Mit ihren Pinselstrichen hat Élisabeth Vigée Le Brun einige der größten Häupter des 18. Jahrhunderts, das zu den unruhigsten der europäischen Geschichte zählt, unsterblich gemacht. In einer Retrospektive wurde kürzlich im Pariser Grand Palais an die Lieblings-Porträtmalerin der französischen Königin Marie Antoinette erinnert.

 

Paris brennt. Es ist eine der dramatischsten Nächte in der Geschichte Europas. Die Revolution war schon ausgebrochen, aber noch rollten keine Köpfe. Es gab jedoch kein Zurück mehr. Mitten in dieser aufwühlenden Atmosphäre, als in jener Nacht der König und seine Gemahlin Marie Antoinette verhaftet wurden, floh eine ebenso zierliche wie schöne Frau mit ihrer kleinen Tochter aus dieser Stadt, um sich in Sicherheit zu bringen. Es war die Malerin Marie-Louise Élisabeth Vigée Le Brun, 1755 in Paris geboren, die genauso oft porträtiert wurde, wie sie sich selbst gemalt hatte und die in großer Eile Richtung Italien aufbrach, da ihr aufgrund der großen Nähe zur königlichen Familie Gefahr für Leib und Leben drohte. Damit begann eine lange Zeit im Exil – zunächst in Italien, anschließend in Wien und schließlich in Sankt Petersburg und Moskau, wo sie sich den zaristischen Kreisen anschloss – und erst zur Zeit Napoleons I kehrte sie nach Frankreich zurück. Freunde und Weggefährten hatten sich sehr für ihre Rückkehr in die Heimat eingesetzt, wo sie dann auch von jedem antirevolutionären Verdacht freigesprochen wurde. Lange hielt sie sich aber nicht in Paris auf, angeblich der großen Sommerhitze wegen, vielleicht auch deshalb, weil sich ihre Welt sehr verändert hatte. Sie zog weiter nach London, wo ihr der Prince of Wales persönlich Modell stand – so wie viele andere Damen und Herren der Upper Class, die damals zu den bedeutendsten Persönlichkeiten ihrer Zeit zählten. Danach ging es weiter Richtung Schweiz, wo sie das Bildnis der Madame de Staël schuf, das sich heute im Museum von Genf befindet und zu den bekanntesten Porträts dieser Denkerin des 18. Jahrhunderts zählt.

 

Eine Chronistin ihrer Zeit

Elisabeth Vigée Le Brun war weitaus mehr als nur eine erfolgreiche Porträtistin, wie sie es in ihren Memoiren schildert – einem Zeugnis ihres Lebens aus erster Hand –, da sie sich nicht nur darauf beschränkte, ihre Modelle dem Zeitgeist entsprechend zu porträtieren. Sie versuchte auch, in das Innere der Menschen zu blicken und dieses Innenleben zu malen. Vielleicht war das der Grund, weshalb eines der ungewöhnlichsten Bildnisse der französischen Königin Marie Antoinette jenes war, das sie 1787 fertigstellte und die von ihren Kindern umringte Monarchin ganz unpathetisch als typische Mutter zeigt. Einer von ihnen, der älteste Sohn und Thronnachfolger, der wenig später verstarb, zeigt auf eine leere Wiege und verweist damit auf seine ebenfalls vor ihm verstorbene Schwester. Gerade wegen des tragischen zweifachen Todes ihrer Kinder verbarg Marie Antoinette dieses großformatige Gemälde vor den Blicken anderer, weshalb es nicht zuletzt deswegen dem Wüten der Revolutionäre entging.

 

Es sind diese Details, die ihre Gemälde zu historischen Zeugnissen ersten Ranges und aus Vigée Le Brun eine Chronistin ihrer Zeit machen, die mit ihrer Arbeit den Lebensunterhalt für ihre Familie bestreiten konnte. Sie fertigte nicht nur Porträts vieler Persönlichkeiten ihrer Zeit an, sie hatte auch die Möglichkeit, die großen Veränderungen der europäischen Zeitgeschichte aus nächster Nähe zu beobachten. Man muss all das berücksichtigen, auch wenn es manchmal vergessen zu werden droht, um die Gemälde der Vigée Le Brun wirklich zu verstehen und würdigen zu können. Zu sehr scheint das Andenken an den Menschen hinter der Künstlerin aufgrund des großen Erfolges und der hervorragenden gesellschaftlichen Kontakte in den Hintergrund zu verschwinden. Sie war zweifellos eine Chronistin der damaligen Epoche und der gesellschaftlichen Moden und Konventionen, wie es das Bild der Marie Antoinette als Mutter demonstriert. In jenem Bild wird ein ganz neues Thema in der Malerei, die Kindheit, aufgegriffen. Es gehörte zu den gesellschaftlichen Entwicklungen des 18. Jahrhunderts, sozusagen als Folge eines modischen Bildthemas, das die Kunsthistorikerin Carol Duncan als „die glücklichen Mütter“ bezeichnete – das heißt Mütter, welche die Maler jener Zeit typischerweise gemeinsam mit ihren Kindern abbildeten. Kinder waren die Attribute dieser neuen Göttinnen, eine Art neues Genre, das in jener zeitgeschichtlichen Wende in Frankreich aufkam, als Frauen begannen, für ihre Rechte zu kämpfen und auch mehr und mehr versuchten, die Kontrolle über die Geburten in ihren zumeist Zweckehen zu erlangen. Vigée Le Brun, die sich in manchen ihrer Selbstporträts ebenfalls an solchen Moden orientierte, hatte im Privaten jedoch deutlich andere Vorstellungen davon, wie sie leben und arbeiten wollte: Sie wollte nichts als malen, weshalb sie sogar bis kurz vor ihrer Niederkunft die Geburt ihrer eigenen Tochter Julie ignorierte. Madame de Verdun, eine Freundin, berichtete davon in ihren Memoiren und meinte sogar, Vigée Le Brun würde sich eher wie ein „Kerl“ gebärden. Sich wie ein Kerl oder Mannweib zu verhalten, solche Urteile wurden oftmals über Frauen gefällt, die beruflich „ihren Mann standen“ und die ihre Arbeit, und sei es die Malerei, als Ziel und Zweck ihres Lebens betrachtet haben.

 

Yolande-Gabrielle-Martine de Polastron, Herzogin von Polignac, gemalt von Elisabeth Vigée Le Brun © RMN-Grand Palais

Die unermüdliche Künstlerin

 

Als Tochter einer Pastellmalerin fand Vigée Le Brun schnell zu ihrer malerischen Bestimmung und orientierte sich in ihrer Entwicklung an den großen Meistern, allem voran Rubens, Rembrandt und Van Dyck. Schon mit 15 Jahren war sie in der Lage, Mutter und Bruder zu ernähren, und ihre Gemälde der höheren Gesellschaft eröffneten ihr bald den Weg zum Versailler Hof. Um ihr den Weg zu ebnen, arrangierte ihre Mutter auch die Hochzeit mit einem Kunsthändler, Jean-Baptiste Le Brun, wenngleich die Künstlerin das eher mit Skepsis sah: „Ich war 20 Jahre alt und lebte ohne ein klares Ziel, was meine Zukunft anging. Ich verdiente viel Geld und fühlte nicht das geringste Bedürfnis, mich zu verheiraten. Meine Mutter jedoch, die glaubte, dass Herr Le Brun ziemlich reich sei, beharrte darauf, dass ich eine solch viel versprechende Verbindung nicht ablehnen dürfe. Schließlich stimmte ich der Heirat zu, da ich auch sehr darauf bedacht war, dem schrecklichen Leben an der Seite meines Stiefvaters zu entfliehen. So wenig ich davon begeistert war, freiwillig auf meine Freiheit zu verzichten, so sehr beschäftigte mich auf dem Weg zum Traualtar die drängende Frage: Sage ich nun ja oder nein? Es war zum Verzweifeln. Ich habe schließlich ja gesagt und aus meinen alten Problemen wurden am Ende neue.“

 

Der Ehemann, ein leidenschaftlicher Spieler, sorgte sogar dafür, dass es in ihrem Atelier nie an Schülerinnen mangelte, für die sie zusätzliche Stunden gab, damit er seine Spielschulden bezahlten konnte. Im Unterschied zu ihrer gleichaltrigen Maler-Konkurrentin Adélaide Labille-Guiard ließ sich Vigée Le Brun niemals gemeinsam mit ihren Schülern porträtieren. Sie war keine Lehrerin im eigentlichen Sinne. Keine ihrer Schülerinnen wurde von ihr als talentiert angesehen, mit Ausnahme vielleicht von Marie-Guillemine Benoist. Andere waren bemüht, sich wenigstens gut mit ihr zu stellen, wie Marie-Victoire Lemoine, deren Selbstbildnis im Atelier gemeinsam mit ihrer Lehrerin Vigee Le Brun ein kostbares Zeugnis dieser Lehrer-Schüler-Verbindung ist.

 

Ihre Schülerinnen hatten zur Kunst, nennen wir es mal so, ein „angespanntes“ Verhältnis, sowenig eine von ihnen den frischen und feinsinnigen Stil der Vigée Le Brun zu erreichen vermochte – vielleicht deswegen, weil es ihrem innersten Ausdruck entsprach und deshalb kaum zu imitieren war. In ihren mehr als 600 Porträts und über 200 Landschaften – vermutlich alle im Exil entstanden – findet sich nicht nur diese besondere Form von Idealisierung, was viele der Zeitgenossen so sehr ansprach, sondern auch die Wahrnehmung weniger alltägliche Dinge – was auf eine ungewöhnliche Empfindsamkeit und ein aufmerksames Studium ihrer Umwelt hindeutet. Dies berücksichtigend, wird klar, dass Vigée Le Brun prädestiniert war, der Malerei, darunter die Freiluftmalerei, neue Impulse zu geben – eine damals zwar gängige Malweise, doch dank der mit einzigartiger Perfektion gemalten jungen, hübschen, fröhlichen und empfindsamen Frauen gelang es ihr, auch darin Maßstäbe zu setzen. Vigée Le Brun war eine unermüdliche Künstlerin, die nichts, nicht einmal ihre eigene Schwangerschaft, von der Arbeit abhalten konnte.

 

Keine reizende alte Dame

Trotz allem stand sie in dieser Zeit oft im Fokus, da aufgrund der gesellschaftlichen Verhältnisse starke und erfolgreiche Frauen gesellschaftlich kaum akzeptiert waren. So auch bei ihrem Eintritt in die Akademie 1783, als es noch eine fragwürdige Angelegenheit war, mit einem „Kunsthändler“ verheiratet zu sein, zudem gemunkelt wurde, dass die Königin selbst Druck ausgeübt hatte, um diesen Eintritt zu ermöglichen. Aufgrund ihres Rufes, der Liebling der Reichen und Mächtigen zu sein, war Vigee Le Brun immer Klatsch und Tratsch ausgesetzt, so wie es auch die Legende zeigt, die um das Porträt des Beauftragten für die Finanzen des Hofes, dem Conde de Calonne, konstruiert wurde. Im Zusammenhang mit diesem 1785 entstandenen Bildnis wird von der Schauspielerin und Sopranistin Sophie Arnould berichtet, dass die offensichtlich in den Conde de Calonne Verliebte dem Porträtierten am liebsten die Beine abgeschnitten hätte, damit er nicht entwischen könne. Ebenso wurde über die Art und Weise getuschelt, wie sie für diese Arbeit entlohnt wurde: in 300-Francs-Scheine eingewickelte Pistazien. So waren sie, die Geschichten aus dem dekadenten vorrevolutionären Frankreich.

 

Welche Geschichten man auch immer beruflich erfolgreichen Frauen andichtete, es ändert nichts daran, dass die Gemälde der Vigee Le Brun ihren Glanz nie verlieren werden, wie es dieser freisinnigen Künstlerin zu gönnen ist, die in einer Zeit der Salons und sich zaghaft entwickelnden weiblichen Freiheiten lebte; eine Epoche, in der Kindheit und Jugend künstlerisch erstmals eigenständig wahrgenommen wurden – wie sie es auch mit den Bildnissen ihrer kleinen Tochter demonstrierte. Dass sie auch als starke Frau in Erinnerung bleiben wird, zeigt die Anekdote eines Verehrers, der bei einem gesellschaftlichen Anlass einmal ihre Zukunft vorherzusagen versuchte: „Er sagte mir, dass ich ein langes Leben haben und aus mir eines Tages ein entzückendes altes Mütterchen werden würde, denn ich sei als Frau weder eingebildet noch kokett. Jetzt aber, da ich viele Jahre gelebt habe, frage ich mich, ob aus mir tatsächlich diese reizende alte Dame wurde. Ich bezweifle es sehr.“

 

Manche Frauen werden sich niemals in solche reizende alte Damen verwandeln. Sie werden ungebunden bleiben bis an ihr Lebensende. Mögen aus ihnen Kämpferinnen werden wie die in höherem Alter gereifte Vigee Le Brun, die in der Schweiz auf Madame de Stael traf, eine Frau wie sie, die mit Pinsel und Feder den Weg für nachfolgende Generationen bereitet haben.



Die Ausstellung der französischen Malerin Élisabeth Vigée Le Brun fand vom 23. September 2015 bis 11. Januar 2016 in Paris statt. Aufgrund der damaligen Terrorangriffe war es nicht geboten, eine Empfehlung zum Besuch der Ausstellung auszusprechen. Dennoch sind es die Werke dieser Malerin wert, bei einer anderen Gelegenheit in Museen besichtigt zu werden.

 

https://www.grandpalais.fr/en/event/elisabeth-louise-vigee-le-brun

 

Übersetzung und Erweiterung des Artikels „La gran dama de los retratos“ von Estrella de Diego, erschienen am 12.10.2015 in der El País ©

Übersetzer: Marcus Schmitz ©

Gracias a José Bolance por la ayuda.